Das Mädchen in unserem Badezimmer
Öffnen sie doch mal ihren Kleiderschrank. Wieviele Kleidungsstücke befinden sich darin? Wie viele Schuhe besitzen sie? Wieviele Pflegeprodukte stehen dicht gedrängt in unseren Badezimmerschränken. Lebensmittel türmen sich in unseren Küchenladen, der nächste Urlaub ist geplant und ein komfortables Familienauto parkt vor unserem Haus mit Garten. Die Welt steht uns offen. Wir gestalten unseren Alltag nach unseren Bedürfnissen, Terminen und Verpflichtungen.
Ein Lebensstil, der ein Privileg darstellt, das nicht allen in unserer Gesellschaft zugänglich ist.
„Ich fass es nicht! Wie kannst du sie denn einfach so zu uns nach Hause einladen!“
Wie aus dem Nichts, bietet Amras Mutter einem anscheinend obdachlosen Mädchen eine heiße Dusche in ihrem Badezimmer an!!!
Völlig irritiert und befremdet steht die 14 Jährige ihrer Mutter gegenüber. Tausende Fragen und Befürchtungen schießen durch ihren Kopf.
Was ist, wenn sie etwas klaut?
Was ist, wenn sie meine Haarbürste benützt?
Was ist, wenn sie überall Unordnung reinbringt?
Amra ist Ordnung besonders wichtig. Sie sammelt und sortiert - alles - meistens nach Farben.
Ekel, Abneigung und Misstrauen machen sich in Amra breit. Sie hofft, dass dieses Mädchen das Angebot nicht annehmen wird.
Doch am nächsten Tag klingelt es an der Tür. Coco, das Mädchen aus dem Park, mit ihren 17 Jahren, in Shorts und weißen Cowboystiefeln, mit langen grasgrünen Fingernägeln und scheckigen Haaren ist der Einladung doch gefolgt.
Sie genießt für die kommenden sechs Stunden alle Vorzüge im komfortabel ausgestatteten Badezimmer.
Die Gedanken, der wartenden Familie vor dem Badezimmer, sind sehr ehrlich und authentisch beschrieben.
Mal ehrlich: Haben Sie schon mal einen obdachlosen Menschen auf eine Dusche zu sich nach Hause eingeladen?
Nachdem Coco wieder auf die Straße zurückkehrt, bemerken sie ihr Tagebuch. Sie hat es wohl vergessen!
Amra und ihre beste Freundin Louise lesen es. Zuerst zögerlich und mit dem Vorsatz, nur so weit, bis sie wissen, wo sie Coco finden können, um ihr das Tagebuch zurückzugeben. Und damit beginnt die wahre Geschichte. Sie lernen darin einen Menschen kennen, der in seinem kurzen Leben bereits eine Menge an Leid und Enttäuschung erfahren hat. Einen Menschen, der ihnen gar nicht so unähnlich ist.
Nachdem Amra und Louise für die Schülerzeitung schreiben, ist die Suche nach Coco auch gleichzeitig eine Recherche ihres aktuellen Artikels. Ein Interview mit einem Sozialpädagogen findet sich am Ende des Buches. Viele Informationen über das Leben auf der Straße, wenn jemand von zu Hause wegläuft oder auch der Konsum von Drogen werden hier thematisiert.
Ein Jugendkrimi, der fesselt, berührt und uns die Welt auch mal von einer anderen Perspektive betrachten lässt.
Besonders die Machart des Buches sowie seine Illustrationen sind beeindruckend.
Als Literaturvermittlerin fände ich es äußerst spannend, die Themen Jugendarmut und Obdachlosigkeit mit SchülerInnen in Mittelschulen zu erarbeiten.
Wer weiß, vielleicht folgt ein Blog darüber!